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Artikel vom 01.12.2007

Autor: Kevin Jensen

Kategorie: Sonstiges
Umfang: 2 Seiten


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Agricola Adventskalender mit Uwe Rosenberg


Hier gehts zur Türchen-Variante


Wir haben uns mit Uwe Rosenberg kurzgeschlossen und einen spannenden Adventskalender zur Entstehungsgeschichte vom aktuellen Spiel Agricola organisiert. Nach dem Motto: Jeden Tag ein Türchen wird dieser Artikel täglich ergänzt. Wir wünschen viel Spaß!

1. Dezember - Ein Spiel in Eigenregie:

Der erste „große Rosenberg“ wird „Agricola“ genannt, groß nicht im Sinne von „bedeutend“, sondern groß im Sinne von „mal kein Kartenspiel“. Es ist ein Wirtschaftsspiel, das auch nicht groß daherkommt, sondern die Spieler im Kleinen für das Wohl ihrer Familie sorgen lässt. Statt um den großen Profit zu kämpfen, kämpfen sie gegen den Hunger an. Um das Spiel mit all dem Material auf den Markt bringen zu können, das ich in fast zweijähriger Entwicklungszeit für das Spiel vorgesehen hatte, habe ich es gerade mal einem einzigen großen Verlag angeboten und mich dann auch schon entschlossen, es lieber in Eigenregie bei Lookout Games verlegen zu wollen. Der Redakteur, dem ich das Spiel gezeigt habe, bestärkte mich in diesem Entschluss. „Wir würden es wohl machen, aber ich denke, wir würden dem Autor damit keinen Gefallen tun“, urteilte er. Zum Dank für diesen freundschaftlichen Rat verewigte ich ihn auf einer Ausbildungskarte. Er besitzt das Spiel. Ich weiß leider nicht, ob er sich selbst schon gefunden hat.

2. Dezember - Ein gewichtiges Spiel:

Für eine Vielzahl von Bohnanza-Varianten ist Lookout Games, der gemeinsame Verlag von Hanno Girke und mir, manchem Spieler bekannt. „Bohnanza“ ist ein Handelsspiel, das 1997 bei Amigo erschienen ist. Einige Abonnenten haben wir, die jedes Jahr ihre „persönliche Nummer“ bei uns abholen. 2007, im Agricola-Jahr, haben wir bewusst keine neue Bohnanza-Variante verlegt, sondern ausweichend einen Illustrationswettbewerb für „Bohnanza“ gestartet, aus dem ein Spiel mit 116 verschiedenen Bohnenzeichnungen hervorgegangen ist. Unser Augenmerk haben wir auf unser bis heute teuerstes und größtes Spielprojekt gerichtet. Wir haben so viel Material in die Spieleschachtel gepackt, dass wir ganz übersahen, dass das Spiel am Ende über 2000 Gramm wog. 360 große Spielkarten hat es, außerdem so viele Holzteile wie kein Spiel zuvor. (Der bisherige Rekordhalter war angeblich „Caylus“, ein wundervolles Spiel von dem ich noch zu berichten habe.) Wir sollten uns von Anbietern sponsern lassen, die ihre Paketgebühren nicht nach Gewicht, sondern nach Päckchengröße bemessen!



3. Dezember - Die Inspiration:

Der Geburtsmonat von „Agricola“ ist Dezember 2005, der Schwangerschaftsmonat November 2005.
„Caylus“ von William Attia war die beliebteste Neuerscheinung des damaligen Herbstes. Mich hatte dieses Spiel so gefesselt, dass ich es zwei Wochen lang jeden Abend gespielt habe. Tagsüber habe ich mir dann immer Gedanken zu einem eigenen Spieleentwurf gemacht. Bei „Caylus“ setzen die Spieler reihum genau einen Arbeiter auf vorgefertigte Aktionsfelder wie „Nimm 1 Holz“ oder „Errichte ein Gebäude“. Jede Runde kommen neue Aktionsfelder und damit mehr Möglichkeiten hinzu, nur leider verändert sich die Zahl der Arbeiter nie. Dies störte mich. Ich überlegte, bei welchem Thema ein begrenzter, kontrollierter Personenzuwachs, den ich haben wollte, gerechtfertigt sei. Arbeiter anheuern zählt doch eher zu den unbegrenzten Zuwachsmöglichkeiten. Als Ehepaar dagegen Nachwuchs zu bekommen, ist zeitlich begrenzt. Definitiv.

4. Dezember - Landwirtschaft als Thema:

Das Thema Landwirtschaft hatte ich 2005 in mehrfacher Hinsicht im Blickfeld. „Dicke Kartoffeln“ (Abacus, 1989, Doris Matthäus und Frank Nestel), bei dem jeder Spieler mal ökologisch, mal profitorientiert Kartoffeln auf bis zu fünf Äckern anbaut, indem er Ackerplättchen auf seinen Hofplan legt, hatte ich über Jahre in guter Erinnerung und den Erntemechanismus aus „Antiquity“ (Splotter Spellen, 2004, Jeroen Doumen und Joris Wiersinga) hatte ich gerade erst in ein anderes Wirtschaftsspiel eingebettet: Als „Vor den Toren von Loyang“ biete ich es immer noch Verlagen an, gegebenenfalls werde ich es aber auch wie „Agricola“ selbst verlegen. Der Erntemechanismus aus „Antiquity“ sieht vor, dass der Spieler Waren, die er in seinem Vorrat liegen hat, entweder konsumieren oder anbauen (somit vermehren) kann. Wie nun auch in „Agricola“ wird eine ausgesäte Ware mit Warensteinen aus dem allgemeinen Vorrat ergänzt. Bei Rundenende darf jeder Spieler von jeder Aussaat genau einen Warenstein wieder in seinen Vorrat legen. Das Thema Viehzucht hatte einen anderen Ursprung. Ich hatte Klaus Teubers Spiel „Löwenherz“ (Goldsieber,1997, heute Kosmos) im Hinterkopf. Schon lange wollte ich mit Abgrenzungsmarkierungen einmal etwas anderes als Königreiche abstecken.



5. Dezember - Erste Entwicklungsansätze:

Diese bewährten Zutaten führte ich meiner Idee zu, die Spieler an ihrem eigenen Nachwuchs arbeiten zu lassen. Beim Hausbau setzte ich an. Wer Nachwuchs bekommen wollte, sollte sein Anwesen vergrößern müssen. Schnell kam ich auf die Idee, unterschiedliche Baustrategien zu ermöglichen. Die Spieler sollten renovieren können und danach, wenn sie weiter ausbauen wollen, dies auf der neuen Baustufe müssen. Ich legte mich auf die Baustoffe fest, Holz für die Holzhütte, Lehm für eine Lehmhütte und Stein für ein Steinhaus. Dass Holz auch für oben genannte Abgrenzungen, die Zäune, benötigt wird, lag auf der Hand. Ich überlegte, wofür Lehm und Stein gut sein könnten. Der Puerto-Rico-Tradition (Alea, 2002, Andreas Seyfarth) folgend wollte ich mit Stein zum Ende des Spiels hin Punktegebäude errichten lassen. Für Lehm fand ich eine andere Verwendung. Damit sich die Spieler zu überlegen haben, wann im Spiel sie ihren Familienzuwachs bekommen wollen, sollten sie für ihre Familienmitglieder eine Abgabe zahlen. Was lag näher, als sie Nahrung besorgen zu lassen? Mir gefiel, dass das Wort „Nährwert“ ein wenig nach Währung klingt. Mit Lehm sollten sich die Spieler also das bauen, was sie zur Ernährung ihrer Familie benötigen, u. a. Lehmöfen und Feuerstellen. Somit hatten alle drei Materialen zwei Anwendungen. Als kleines Beigabematerial fügte ich noch Schilf hinzu. Schilf sollte für die Dächer der verschiedenen Gebäude sein.

6. Dezember - Moderne Wirtschaftsspiele:

Für mich gehört zu modernen Wirtschaftsspielen, dass das Geld in den Hintergrund tritt, entweder bleibt es wie bei „Die Siedler von Catan“ (Kosmos, 1995, Klaus Teuber) außen vor oder es hat allein den Zweck, die wichtigere „Währung“, Siegpunkte, zu verdienen. Friedemann Friese, der Autor von „Funkenschlag“ (2F-Spiele, 2001/2004), prägte den Lehrsatz, dass in Wirtschaftsspielen eine frühzeitige Spielentscheidung dadurch verhindert werden kann, dass man die Spieler Geld, das zwangsläufig immer mehr Geld erwirtschaftet, in Siegpunkte umwandeln lässt, welche im Gegensatz zum Geld keinen Mehrwert erzielen sollen. Somit kann jeder Rückstand im Spiel noch aufgeholt werden, indem der Spieler riskiert, mit der kontinuierlichen Umwandlung von Geld in Siegpunkte zu warten.
Bei früheren Wirtschaftsspielen wie „McMulti“ (Hexagames, James J. St. Laurent, im Original 1974 als „Crude“), „Schoko & Co.“ (Schmidt, 1987, Yves Hirschfeld und Gilles Monnet) und auch „Dicke Kartoffeln“ siegte noch, wer am meisten Geld hatte. Vom „Börsenspiel“ (Ravensburger, S. Spencer und F. Murray, im Original 1961) geprägt herrschten Börsenmechanismen wie bei „Acquire“ (3M, 1962, Sid Sackson) und später „Shark“ (Flying Turtle, 1987, Jean Vanaise) vor.



7. Dezember - Der Grundmechanismus von Agricola:

„Agricola“ und ich haben William Attia einiges zu verdanken, nicht nur den Grundmechanismus zum Spiel, der auf Ideen von Richard Breese („Keydom“, R&D Games, 1998 bzw. „Morgenland“, Hans im Glück, 2000) beruht und an dessen Weiterentwicklung zeitgleich mit William auch Stefan Stadler und Michael Rieneck („Die Säulen der Erde“, Kosmos, 2006) gearbeitet haben. William war es auch, der „Agricola“ ins Französische übersetzte zu einem Zeitpunkt, als noch keinerlei Lizenzvereinbarungen mit Frankreich bestanden.
Weiterentwickelt wurde der Grundmechanismus jüngst auch in den Spielen „Tribun“ (Heidelberger, 2007, Karl-Heinz Schmiel) und „Kingsburg“ (Truant, 2007, Andrea Chiarvesio und Luca Iennaco), die wie „Agricola“ im Oktober 2007 erschienen sind und beide auch über den Heidelberger Verlag vertrieben werden.
Von den genannten Spielen unterscheidet sich „Agricola“ durch die Spielregel, dass angespielte Aktionen sofort durchgeführt werden und nicht erst in einem gesonderten Abrechnungsdurchgang. Aktionen nicht sofort durchzuführen ist nur dann sinnvoll, wenn das Einsetzen der Spielfiguren auf Spekulation beruht, so dass sich der Spieler immer für einen sicheren Weg, erst die Bedingung zu erfüllen und dann die Aktion durchzuführen, entscheiden kann oder wahlweise für den riskanten Weg, sich erst die angesprochene Aktion zu sichern und die Bedingung erst im Nachhinein zu erfüllen. Reizvoll wird dieser Mechanismus, wenn es möglich ist, die Bedingung schon eine Runde im Voraus zu erfüllen. Leider schöpfen nicht alle angesprochenen Spiele diese Möglichkeiten aus.

8. Dezember - Das Einsetzen von Aktionssteinen als Mechanismus:

Interessant an dieser Stelle ist übrigens auch die Frage, ob die bezeichneten Feinheiten überhaupt als „Mechanismen“ zu bezeichnen sind. Karl-Heinz Schmiel prägt hierfür den Begriff „Engine“. Man könnte auch von einem „Handling“ sprechen.
Reizvoll am Einsetzen der Spielfiguren auf Aktionsfelder ist auf jeden Fall immer, dass man seinen Mitspielern Aktionen wegschnappen kann. Bei den Spielen „Bali“ (Kosmos, 2001) und „Puerto Rico“ (Alea, 2002) wird genau umgekehrt vorgegangen. Die Aktion, die der Startspieler angespielt hat, wird von den Mitspielern kopiert. Wichtig ist in beiden Fällen, dass ein Spieler mit seiner Aktionswahl seinen Mitspielern Einschränkungen auferlegt. Auf diese Weise entsteht das Minimum an Interaktion, dass jedes Spiel nötig hat. Ende der Neunziger Jahre wurde das Ausmaß an Interaktion zu einem Qualitätsmerkmal für Spiele erhoben. Interaktion bedeutet für viele, dem Anderen etwas wegnehmen zu können. Ich meine, dass je ausführlicher ein Spiel den Spieler anleitet, in die Zukunft zu planen, desto störender wird es, wenn ihm seine Pläne durch direkte Angriffe kaputt gemacht werden können, wie in Wargames üblich. Bei „Agricola“ lege ich z. B. wert darauf, dass den Spielern kurzfristig keine Nährwerte weggenommen werden können. Man soll nicht durch Willkür in drei Minuspunkte getrieben werden können bei einem Spiel, das der Sieger nach Stunden der Anspannung mit durchschnittlich nur 35 Punkten gewinnen wird.



9. Dezember - Das Agricola-Team:

Im Moment besteht unser Agricola-Team aus mehreren Personen. Noch bevor William mit der französischen Übersetzung begann, meldete sich Melissa Rogerson aus Melbourne, ob sie das Spiel ins Englische übersetzen dürfe. Sie lebte für längere Zeit in Österreich und spricht deshalb sehr gut Deutsch. Aus Österreich stammt auch unser Illustrator, Klemens Franz. Kennen gelernt hat Hanno ihn auf der Spielemesse 2006. Wie 2007 für „Bohnanza“ rief Hanno für sein Spiel „Die Drachenbändiger von Zavandor“ (Lookout Games) einen Illustrationswettbewerb aus, an dem auch Klemens teilnahm. Im Herbst 2006 stand bereits fest, dass wir für „Agricola“ gerne 300 Spielkarten illustrieren lassen würden. Hanno unterhielt sich mit allen Wettbewerbsteilnehmern, die uns am Stand besucht haben, und ließ sich auf Blankokarten Drachen für seine Wettbewerbsdokumentation zeichnen. Klemens war nicht der Einzige, der ihm aus dem Stand einen wunderschönen Drachen zauberte. Hanno erzählte ihm von „Agricola“ und wurde sich schnell mit ihm einig.

10. Dezember - Klemens’ Vorbereitung und Susannes Nachbereitung:

Im Sommer des nächsten Jahres ging es los. In einem sehr lesenswerten Werkstattbericht berichtet Klemens auf www.lookout-games.de von unserer Zusammenarbeit. Bis es an die Fertigstellung der Spielkarten ging, bereitete er die Zeichnungen vor. 300 Bilder, und es gab am Ende höchstens zehn, zu denen Hanno und ich Korrekturvorschläge hatten. Unzählige Bücher hatte sich Klemens ausgeliehen und seiner Familie sogar einen Besuch in ein mittelalterliches Freilichtmuseum gegönnt.
Eine weitere wichtige Person im Entstehungsprozess dieses Spiels ist meine jetzige Ehefrau Susanne. Mit ihr hatte ich unzählige Zweierpartien gespielt (so zwischen 50 und 100), außerdem las sie alle Texte Korrektur. Insbesondere die Spielregel bekam durch sie ihren Schliff.



11. Dezember - Die Sammelkartensprache:

Am Disput mit Hanno war interessant, dass zwei Spielwelten aufeinander prallten. Wir wollten „Agricola“ in die Sammelkartensprache bringen und Hanno hatte mir einiges beizubringen. Er übersetzt seit Jahren alles zum Sammelkartenspiel „Magic: The Gathering CCG“ (Wizards of the Coast, 1993, Richard Garfield) ins Deutsche, ich dagegen beschäftige mich gar nicht mit Sammelkartenspielen. Bei Sammelkartenspielen beziehen sich die Texte immer exakt auf das, was unter gegebenen Umständen wann geschieht. In dieser Sprachgebung hat man z. B. das Wort „dürfen“ gestrichen, weil man keine Unterscheidung der Wörter „dürfen“ und „können“ benötigt. Bei Gesellschaftsspielen dagegen wird mit „dürfen“ alles bezeichnet, was die Spielregeln erlauben, mit „können“, was die Handhabung des Spielmaterials angeht. Die Sammelkartensprache kann man als eigene Kunstsprache verstehen. Insbesondere im Englischen ging die Reduzierung der Wörter so weit, dass man z. B. unabhängig vom Geschlecht als Bezugswort immer „it“ nimmt, wobei „it“ den Bezug zum Begriff „Karte“ herstellt, egal ob die Karte DER Hammer oder DIE Sichel heißt. Ein weiteres Problemfeld sind Aktiv-Passiv-Formulierungen. Statt passiv „erhältst du“ kann man genauso gut aktiv „nimmst du dir“ formulieren. Aktiv liest sich immer besser als Passiv, hat aber den Nachteil, dass nicht immer klar ist, ob die aktive Handlung als Aktion gewertet wird. In vielen Spielen wie auch bei „Agricola“ hat ein Spieler nur eine begrenzte Anzahl von Aktionen zur Verfügung. Bei passivem Satzbau ist z. B. zu beachten, dass man statt „entweder oder“ „wahlweise oder“ schreiben muss, wenn sich der Spieler selbst aussuchen können soll, was er bekommt.

12. Dezember - Alleine vor sich hin spielen:

Ich kehre in meiner Berichterstattung zurück in das Jahr 2005. Im Dezember begann die Zeit, in der ich Tag für Tag an meinem Tisch saß und die ersten Agricola-Runden vorbereitete. In der ersten Woche spielte ich immer nur bis Runde 4, in der zweiten nur bis Runde 7. Ich hatte auszuloten, welche Aktionsfelder von Beginn an möglich sein sollen, welche in den ersten Runden dazukommen sollen und welche erst später nötig sind.
Familienzuwachs brauchte ich z. B. erst später, die Spieler sollten erst ihr Anwesen ausbauen müssen, in das der Nachwuchs einziehen soll. Warenfelder dagegen benötigte ich von Anfang an. Ich überlegte, welche Aktionen ich immer gerne schon in den ersten Runden durchführen wollte und welche ich variieren könnte.
Ausbildungen und Anschaffungen sollten schnell möglich sein. Die ersten Anschaffungen, die ich mir ausgedacht habe, waren etwas schwächer als die ersten Ausbildungen. Dieser Zufall bewirkte, dass ich sie mit der Zugabe, Startspieler zu werden, aufwertete. Ich entschied, dass das Startspielerrecht nicht wie in vielen anderen Spielen wandern sollte. Die Spieler, wie in „Caylus“ um die Zugreihenfolge kämpfen zu lassen, mag ich auch nicht sonderlich. Für mich muss das Zugrecht innerhalb einer Spielrunde immer im Kreis wandern. Alles andere strengt mich nur an. Schnell erkannte ich auch, dass ich den wichtigen Anschaffungen, die Nährwerte bringen und dem Lehm Sinn geben, Raum schaffen musste, damit sie in jeder Partie ausgewählt werden können. Für die großen Anschaffungen, wie ich sie nannte, schuf ich ein eigenes Aktionsfeld.



13. Dezember - Welche Aktionen sollte ich als variierende nehmen?:

Mir gefiel die Idee, Partien mit guter und mit schlechter Nahrungslage zu schaffen, auf welche sich die Spieler einstellen müssen. Da ich den Ackerbau zum langsamen, sich erst später schnell entwickelnden Wirtschaftsteil machte, wollte ich den Ackerbau von vorne herein möglich machen. Übrig blieb das Nahrungsfeld „Schaf“ als variierendes Aktionsfeld. Kommt es in Runde 1, herrscht eine gute Ernährungslage. Erscheint es erst in Runde 4, wird die Ernährung schwieriger.
Zäune, Aussäen, Schaf und große Anschaffung erzielten schöne Effekte, wenn sie in verschiedenen - aber frühen - Runden ins Spiel kommen. Renovierung erschien mir wie Familienzuwachs erst später wichtig. Die späten ersten Steine habe ich durch ein zweites Stein-Feld ausgeglichen, von Beginn an wollte ich Stein nicht haben. Blieb Hausbau übrig, ein Aktionsfeld, das durchaus erst im Spielverlauf ins Spiel hätte kommen können, aber es blieb in meiner Rundenplanung eben übrig und so kam es an den Anfang.
Der Tagelöhner gesellte ich erst nach etliche Testrunden zu den Startaktionen hinzu. Frank Grieger wünschte sich ein uneffektives Aktionsfeld, auf dem man in der Not immer noch seine Ernährung sichern konnte. Er wünschte sich ein Feld mit konstant einem Nährwert, ich machte daraus später zwei Nährwerte. Für zwei Nährwerte spiele ich selbst die Aktion „Tagelöhner“ gerne in ersten Runden, in welchen es noch nicht viele gute Aktionen gibt.

14. Dezember - Erste Testpartien:

Alleine vor mich hin spielte ich immer nur bis höchstens zur 8. oder 9. Runde. Dann wurden mir die Spielsituationen zu kompliziert, um sie alleine zu bewältigen. Bei der ersten Testpartie habe ich noch ausgesetzt. Ich hatte „Agricola“ bis dahin nur als Dreipersonenspiel getestet und wir waren zu viert. Als nicht gut austariert schienen mir die Nährwerte. Sie waren zu knapp bemessen. An die zweite Partie erinnere ich mich auch noch gut. Nach dieser verabschiedete ich mich von der Regel, dass je zwei Tiere ein Tier Nachwuchs bekamen. Die Tierstrategie erwies sich als zu stark.
Weihnachten rückte näher. Ich fand weiterhin viel Zeit, alleine vor mich hin zu testen. Ich erinnere mich noch gut, wie ich in aller Ausführlichkeit immer wieder die Ausbildung „Amme“ getestet habe, weil ich sie in Verbindung mit der Axt für zu mächtig erachtet habe. Von der Vielzahl an Karten, die ich mir im Laufe der Zeit ausgedacht habe, ahnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nichts, sonst hätte ich mir an dieser Stelle nicht so viel Arbeit gemacht.

15. Dezember - Verschiedene Spielerzahlen:

Ich hatte mir über die Versionen zu zweit und zu viert erste Gedanken gemacht. Auf welche Aktionen kann ich im Spiel zu zweit verzichten, um welche Aktionen muss ich das Spiel zu viert erweitern? So sind die Aktionskarten entstanden, die abhängig von der Spielerzahl sind (grüne Rückseite). Im Zweipersonenspiel wird ohne zusätzliche Aktionskarten gespielt, im Spiel zu viert mit sechs Karten. Auf die Zahl 6 hatte ich mich frühzeitig festgelegt, weil ich den Gesamtspielplan mit drei kleinen Plänen auslegen wollte. Der Grund hierfür ist Kostenreduktion: Ein Spielplan, der geklappt werden kann, ist in der Herstellung doppelt so teuer wie ein Spielplan, der aus vier kleinen Plänen ausgelegt wird. Für mehr als 6 zusätzliche Aktionskarten war kein Platz.
Zum Problem erwies sich meine Vorgabe erst nach Monaten, als ich das Spiel auf 5 Spieler ausweiten wollte. Der langen Wartezeiten wegen glaubte ich nicht an einen erfolgreichen Test. Dass ich die Aktionen für 5 Spieler auf 6 Karten untergebracht bekam, gelang durch den Trick, Aktionsfelder mit entweder-oder-Optionen mehrfach zu belegen.
Je erfahrener man wird, desto mehr plant man beim Spieleentwickeln Kostenreduzierungen in seine Überlegungen mit ein. Zur Veröffentlichung hin habe ich mich z. B. frühzeitig auf zwei Druckbögen festgelegt mit der gleichen Rückseite. Dies spart Kosten, wenngleich auf diese Weise auch zwei Blankokarten entstanden sind. (Für den Fall, dass sich jemand gewundert hat.)

16. Dezember - Die letzten drei Rundenfelder:

An den Spielregeln veränderte sich in der Testspielerphase nur noch wenig. In den ersten Partien variierte ich immer wieder die letzten drei Rundenfelder (Runde 12 bis 14). Ich wollte diese Felder so gestalten, dass die Spieler bei einem günstigen Spielverlauf am Ende das Gefühl haben, ihren Hof genau so gestaltet zu haben, wie sie sich das vorgestellt haben.
Renovierungen bringen Punkte für die Schlusswertung, aber kaum etwas für den Spielverlauf. Die Spieler wollen somit bevorzugt gegen Ende des Spiels renovieren - daher das Aktionsfeld für Runde 14. Familienzuwachs wünschen sie sich dagegen so früh wie möglich. Damit die Spieler gegen Ende dennoch Lust auf die Maximalzahl von fünf Personensteinen bekommen, erhalten sie ein neues Nachwuchsfeld, eines, bei dem die Spieler keinen Platz für die neuen Personensteine benötigen. Das dritte der letzten Aktionsfelder ging an den Ackerbau. Auf diesem neuen Aktionsfeld durfte zunächst gepflügt und danach sofort ausgesät werden.
Überhaupt war die Testspielerphase vom Versuch geprägt, den Ackerbau gleichwertig zur Viehzucht zu gestalten. Eine wichtige, recht späte Änderung im Spiel habe ich Christian Becker zu verdanken: Wer einen Ofen kauft, soll ihn noch im gleichen Spielzug ein erstes Mal anwenden können.

17. Dezember - Die Fairplay-Noten:

Auf über 130 Testspieler kam ich insgesamt. Es ist eine Frage der Ehre, alle Helfer namentlich aufzuführen und sollte eine Selbstverständlichkeit auch für andere Verlage sein. Platzgründe dürfen nicht ausschlaggebend sein, man kann Namen auch sehr klein schreiben.
Zur Begleichung der Produktionskosten sind Kleinverlage auf einen guten Verkauf in Essen angewiesen. Ein gutes Spiel - und jedes Spiel sollte ein gutes Spiel sein - muss als solches während der Messetage bekannt werden. Als lobenswertes Bohnometer zur Ermittlung der besten Spiele dienen die Fairplay-Noten der Messebesucher. Für den Direktverkauf auf der Messe haben diese Noten einen größeren Einfluss als allgemein wahrgenommen wird. Befindet sich ein Spiel unter den Bestplatzierten, hat sich der Kunde nur davon zu überzeugen, ob die Art des Spiels ihm zusagt, er kann dann darauf vertrauen, dass das Spiel gut funktioniert und mag es auf gut Glück sofort kaufen. Ist es weiter unten platziert, nimmt sich der Kunde vor, ein Spiel, wenn es ihn interessiert, in Ruhe ausprobieren zu wollen, um es erst dann, wenn es ihm sicher gefällt, auch zu kaufen. Wer dieses Verhalten wahrnimmt, ist besonders daran interessiert, die Noten vor Manipulationen geschützt sehen zu wollen. Dass Fairplay erste Versuche hierzu angestellt hat, ist sehr lobenswert.

18. Dezember - Der Titel des Spiels:

Bezüglich des Spieletitels waren Hanno und ich uns lange Zeit nicht sicher. Viele Tester sprachen das Spiel „Agri Cola“ aus, so als wäre es ein Erfrischungsgetränk. Miriam Bode stieß uns auf ein schönes Thema. In Australien gründeten Aussiedler im 19. Jahrhundert die Swan River Colony. Die Technologie brachten sie mit, ihre Existenz mussten sie aber erst noch aufbauen. Benannt wurde die Kolonie nach schwarzen Schwänen, die es dort gab. Diese hätten ein sehr schönes Titelbild abgegeben. Ich hatte eine kleine Umfrage gestartet, aus der dann doch „Agricola“ als Sieger hervorging. Andrea Boekhoff, die Illustratorin von „Das Zepter von Zavandor“ (Jens Drögemüller, 2004) und „Das Ende der Triumvirats“ (Max Gabrian und Johannes Ackva, 2005), beruhigte uns, wenn wir das erste und letzte A im Schriftzug von „AgricolA“ groß schreiben würden, würde niemand „Agri Cola“ betonen. Tatsächlich wurde ich auf der Messe dann eher schon einmal gefragt: „Wer hat es erfunden?“ - mit Anspielung auf die Ricola-Bonbons, die man so schön singen kann. Riiiicolaaa!

19. Dezember - Agricola auf der Spielemesse:

Auf die Messe in Essen konnten uns nur 1050 Exemplare des Spiels geliefert werden. Der Konkurs eines Holzherstellers machte allen Verlagen zu schaffen. Wir ließen uns die Spiele auf die Messe liefern und planten notdürftig einen Abtransport der restlichen Exemplare nach der Messe. Wir reisten nämlich mit nur zwei PKW an und hofften am Sonntag unseren Restbestand an Großhändler und Internetversender weitergeben zu können - einen Restbestand, die es nach vier Messetagen nicht mehr gegeben hat: 100 Spiele deponierte ich für meine Testspieler im Vorfeld der Messe bei mir zu Hause. Unglaubliche 700 Spiele verkauften wir an Endkunden und den Rest an Händler, die uns jedes Jahr am Stand besuchen.
Traurig bin ich über die Nachricht, dass es 2008 keine Halle 9 mehr geben wird. Eigentlich haben wir immer wert darauf gelegt, unseren Stand jedes Jahr an der gleichen Position auf der Messe zu haben und somit über all die Jahre immer leicht zu finden zu sein.
Bis zur Messe standen Hanno und ich ohne Vertriebspartner da, wir waren von unserem Spiel aber überzeugt und trauten uns eine Auflage von 5000 Exemplaren zu. Nach den Messetagen waren wir bestrebt, Vertriebsvereinbarungen fest zu machen. Wir haben uns für den Heidelberger Verlag entschieden, der als Großhändler auch in der Vergangenheit einen guten Abverkauf unserer Spiele gewährleistet hatte.

20. Dezember - Der Vergleich zum Computerspiel:

Wir möchten auch in Zukunft materialaufwendigere Spiele herausgeben und den Spieltisch zur Erzählfläche machen, ihn als Oberfläche begreifen wie bei einem Computerspiel. Mit „Agricola“ wollte ich den Computerspielen auch durch die Erzähltiefe nahe kommen. „Die ersten beiden Erweiterungen sind im Spiel gleich mit drin.“ hieß es. Es machte mir Spaß, mir immer wieder neue Karten auszudenken und sie dann sofort auszuprobieren. Die meisten Ideen funktionierten wunderbar. Mit „Agricola“ öffnet sich ein kleines Universum von Spiel- und Erfindungsmöglichkeiten. Weniges funktionierte nicht. Wie oben schon erwähnt, sollten Mitspielern durch Karten z. B. keine Nährwerte weggenommen werden, weil sie so unmittelbar in Bettelkarten hineingetrieben werden können. Außerdem sollte niemand als Startspieler Privilegien genießen, da ein solcher Vorteil die Mitspieler abhängig von der Sitzreihenfolge unterschiedlich stark benachteiligt.

21. Dezember - Blitzeinstieg in Agricola:

Auch noch nach der Messe erklärte ich das Spiel so ziemlich an jedem Tag. Die Computerspiele inspirierten mich auch zu einer neuen Erklärtechnik für die Familienversion des Spiels. „Stellt Euch vor, dies wäre ein Computerspiel und ihr wisst nichts über das Spiel außer dem, was ihr seht. Das hier ist Holz, das Lehm usw. Probiert das Spiel aus und ich erkläre Euch während des Spiels, was ihr da macht. Ihr setzt reihum einen Personenstein ein und führt eine Aktion durch. Es geht um Hausbau, Ackerbau und Viehzucht. Punkte bekommt ihr am Ende des Spiels für Äcker, Weiden, Getreide, Gemüse und Tiere sowie für euer Haus, Personensteine und ausgespielte Karten. Minuspunkte gibt es für nicht genutzte Hoffelder.“ Nach nur wenigen Minuten kann es losgehen. Die Spieler entdecken das Spiel, während sie spielen. Besonders empfehlenswert ist, wenn ein „Erklärbär“ zwei Neulinge in das Spiel einweist. Nach nur 90 Minuten ist alles vorbei. Inklusive Aufbau- und Erklärzeit.

22. Dezember - www.boardgamegeek.com:

Noten für Spiele werden allenthalben vergeben. Bekannt hierfür sind viele Internetseiten. Die weltweit größte ist www.boardgamegeek.com mit den besten Spielen aller Zeiten. Platz 1 unter an die 4000 Spielen im Ranking ist „Puerto Rico“, das von über 10000 Spielern benotet wurde. Mitte November 2007 fand in den USA der dritte BGG-Con statt. Auf diesem Treffen taten sich Spieler zusammen, um „Agricola“ gemeinschaftlich schlechtmöglichst zu bewerten. Oder sie taten so, als ob sie auf dem Con wären. Das kann ich nicht beurteilen. Nachträglich wurde diese Aktion als Scherz abgetan. Da keiner sein Abwerten unkommentiert ließ, sind Schlüsse auf die Motivation möglich: „Agricola“ werde auf dem Con zu viel gespielt, das Thema sei langweilig und ein Preis von 70 Dollar für die geplante englischsprachige Version - zurückzuführen auf die allgemeine Dollarschwäche - sei eine Frechheit. Was ich zu denken geben möchte, ist, dass hinter Spielen auch Menschen stehen, die viel Zeit und Mühe mit der Entwicklung des Spiels aufgewendet haben. Als Autor möchte ich mit meinen Spielen Menschen eine Freude machen, die den gleichen Spielegeschmack haben wie ich. Was muss ich tun, damit ich mir nicht gleichzeitig den Zorn anderer Spieler zuziehe?

23. Dezember - Agricola de luxe und Auslandsausgaben:

Wie geht es weiter mit „Agricola“? Zunächst einmal sind Hanno und ich überrascht, wie viele Rückmeldungen wir bekommen, wie man das Spiel noch schöner gestalten könne. Als Startspielerfigur empfehle ich „Die Bäuerin“ von Schleich (www.schleich-s.de). Die Ackerplättchen könnten durch Mosaiksteine von Rico Design (www.rico-design.de) ausgetauscht werden. Wir sind dabei, uns über die Möglichkeiten zu informieren, die Tiere als Holzfiguren zu formen. Wunderschöne Fimo-Tierchen sind bereits auf einem Foto bei www.boardgamegeek.com zu bewundern. Jemand hat in England sogar geeignete Zinnfiguren entdeckt. In Baumärkten findet man Setzkästen für das Holzmaterial. Da suchen wir auch noch den am besten geeigneten.
Wir wollen englisch- und französischsprachige Ausgaben des Spiels auf den Markt bringen. Auch mit den Niederlanden, Italien und Spanien bestehen Verhandlungen.
Wir hoffen so viele Rückmeldungen zum Spiel zu bekommen, dass wir bald weitgehend alle Fehler auf den Spielkarten erfasst haben werden. Über 300 verschiedene Karten im ersten Anlauf fehlerfrei hinzubekommen, zeigt sich als nahezu unmöglich. Mir schwebt dann ein Kartendeck „Agricola - Die Korrekturen“ vor mit allen überarbeiteten Karten, so dass Käufer der Erstauflage ihre fehlerhaften Karten austauschen können.
Für den Fall, dass wir schnell ausverkauft sein werden, soll es auch eine zweite Auflage des Spiels geben.



24. Dezember - Pläne für eine Erweiterung:

Die erste Erweiterung, die mir dann vorschwebt, spielt sich mit einer zusätzlichen Runde 0, in der eine neue Rundenkarte ins Spiel kommt: Eisen. Im Spiel mit 1-3 Spielern soll jede Runde ein Eisen ins Spiel kommen, im Spiel mit 4-5 Spielern sollen jede Runde zwei Eisen auf die Aktionskarte gelegt werden. Auch kann ich mir vorstellen, die Spieler nach Runde 14 eine Zwischenwertung machen zu lassen, ihnen eine Hofvergrößerung zu geben und sie dann noch ein paar Runden spielen zu lassen. Die Hofvergrößerung könnte z. B. ein Waldgebiet sein, welches erst gerodet werden muss, damit es landwirtschaftlich genutzt oder bebaut werden kann. Das zusätzliche Holz, das der Spieler beim Roden erhält, könnte er für Pfahlbauten gebrauchen, die in ein Gewässer hineingebaut werden. Er könnte Schiffe bauen und über den Seeweg handeln. Sollte ich das Eisenfeld wirklich machen, würde ich auch über den Handel auf Bahnwegen nachdenken wollen.


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