Le Havre Adventskalender mit Uwe Rosenberg
Wir haben uns mit Uwe Rosenberg kurzgeschlossen und einen spannenden Adventskalender zur Entstehungsgeschichte vom aktuellen Spiel Le Havre organisiert. Nach dem Motto: Jeden Tag ein Türchen wird dieser Artikel täglich ergänzt. Wir wünschen viel Spaß!
Inhaltsverzeichnis
01 - Das Jahr 1 nach Agricola
02 - Warum gerade Le Havre?
03 - Ein Spiel mit zwei Vergangenheiten
04 - Der erste Entwurf des Spiels
05 - Gebäudeversteigerung im ersten Spielentwurf
06 - Der zweite Entwurf
07 - Ein Hofplan wie bei Agricola
08 - Der Spielzug
09 - Abschied von den Hofplänen
10 - Die beiden Hauptprobleme in der Testphase
11 - Energie
12 - Subventionen
13 - Die Reederei
14 - Bauen oder Kaufen
15 - Schulden
16 - Standard- oder Sondergebäude
17 - Kurzspielversion
18 - Der Weg bis zur Veröffentlichung
19 - Wir machen es
20 - Eine Reise nach Le Havre
21 - Eine deutsche und eine englische Version
22 - Le Havre auf der Spielemesse in Essen 2008
23 - Die erste Erweiterung - Äpfel und Kalk
24 - Fazit
1. Dezember - Das Jahr 1 nach Agricola:
Als „Le Havre“ im Oktober 2008 auf den Markt kam, befand sich „Agricola“ auf www.Boardgamegeek.com, in der weltweit bedeutendsten Rangliste für Brettspiele, auf Position 1. Ist dies eine hohe Messlatte, an der sich „Le Havre“ messen lassen muss, oder gar ein Zugpferd?
Sicherlich haben Hanno und ich „Agricola“ zu verdanken, dass viele Leute auf „Le Havre“ aufmerksam wurden. Ein erster Hinweis hierauf, waren die vielen Noten, die auf der Spielemesse 2008 in Essen am Stand der Zeitschrift „Fairplay“ für das Spiel abgeben wurden. Daran, dass die Durchschnittsnote nicht so überragend war, lese ich ab, dass sich auch solche Agricola-Fans „Le Havre“ angesehen haben, die ich als Zielgruppe nicht im Visier hatte. Mit Erleichterung stelle ich allerdings fest, dass ich meine Zielgruppe, die Hardcore-Spieler, erreicht habe. Dies entnehme ich der Durchschnittsnote auf www.Boardgamegeek.com. Am 28. November lag sie bei 8,14 (auf einer Skala von 1 schlecht bis 10 gut). Im Vergleich dazu: „Agricola“ hat eine 8,47.
2. Dezember - Warum gerade Le Havre?:
Le Havre ist eine französische Hafenstadt. Sie wurde 1517 als Kriegshafen gegründet und wuchs rasant. Heute hat Le Havre den größten Hafen in Frankreich mit direktem Zugang zum Atlantik.
Ich wurde auf Le Havre zum ersten Mal aufmerksam, als der städtische Fußballverein 2002 in die erste französische Fußballliga, die Ligue 1, aufgestiegen ist. Mich amüsierte die Vorstellung, dass wir in Deutschland eine Stadt mit dem Namen „Der Hafen“ hätten. Eine Stadt, die einen Hafen hat und „Der Hafen“ heißt: daher auch der Untertitel „die Stadt und der Hafen“. Mehr Gründe gab es für die Wahl des Titels eigentlich nicht.
Le Havre: Kulturzentrum und Kirche
Außer vielleicht noch, dass ich den Klang des Wortes mochte. Recherchiert habe ich über die Stadt erst, als die Grundzüge des Spiels feststanden. Mit für das heutige Le Havre spezifischen Gebäuden wollte ich das Spiel abrunden: Das Rathaus und die Kirche St. Josef wurden in einer modernen Betonarchitektursprache gebaut. Das Stadtbild wird von diesem Kirchturm beherrscht. In den 1970er-Jahren wurde ein Kulturzentrum errichtet, das mehr oder weniger liebevoll „Le Volcan“ und „Joghurtbecher“ genannt wird. Wer sich das „Gebäude“ auf unserer Spielkarte ansehen mag, wird wissen warum.
Le Havre: Uwe vorm Rathaus
3. Dezember - Ein Spiel mit zwei Vergangenheiten:
„Le Havre“ hat eine thematische und eine inhaltliche Vergangenheit.
2004 hatte ich versucht, mit ähnlichen Mechanismen wie in „Das Zepter von Zavandor“ (Lookout Games, 2004, Jens Drögemüller) ein Aufbauspiel zu gestalten. Über einen Entwurf bin ich nicht hinaus gekommen. Was mir aber in Erinnerung geblieben ist, ist mein Schema, wie ich über das Einbringen von Energie Waren veredeln wollte. Die inhaltliche Vergangenheit von „Le Havre“ ist „Agricola“. In meiner Reihe von großen Spielen habe ich Mechanismen immer gerne von einem Spiel mit ins nächste Spiel übernommen. „Vor den Toren von Loyang“ aus dem Frühjahr 2005 hatte bereits den Erntemechanismus aus „Antiquity“ (Splotter Spellen, 2004, Jeroen Doumen und Joris Wiersinga), der wenige Monate später in „Agricola“ „Aussäen“ und „Ackerphase“ hieß.
Uwe beim Prototypenspielen "Vor den Toren von Loyang"
In „Agricola“ kamen regelmäßig Waren ins Spiel, die vom Spieler einfach nur genommen werden mussten, die Waren wurden zu Rundenbeginn aufgefüllt. Bei „Le Havre“ plätschern die Waren von Zug zu Zug auf die Angebotsfelder. So auch bei „Mercator“ (Mai 2007), meinem großen Spiel Nummer 4, nur dass in „Le Havre“ fest vorgeschrieben wurde, welche Waren ins Spiel kommen, bei „Mercator“ sind die neuen Waren vom letzten Spielzug abhängig.
„Agricola“ und „Le Havre“ haben die Gemeinsamkeit, dass neue Aktionsfelder im Laufe der Partie hinzukommen. Dieser Spielmotor hat das Spiel „Caylus“ (Ystari, 2005, William Attia) zum Vorbild. „Le Havre“ kommt dem Original hierbei noch näher als „Agricola“, da die Spieler die neuen Aktionsgebäude eigenhändig ins Spiel bringen. „Caylus“, „Agricola“ und „Le Havre“ haben alle drei gemeinsam, dass es Felder gibt, auf denen man Waren erhält und solche, auf den man Aktionen durchführt.
4. Dezember - Der erste Entwurf des Spiels:
In Anleihe von Ideen zu „Das Zepter von Zavandor“ wollte ich im November 2004 wie auch bei den Spielen „Kingsburg“ (Truant, 2007, Andrea Chiarvesio und Luca Iennaco) und „Goa“ (Hans im Glück, 200?, Rüdiger Dorn) Skalen entwickeln, auf denen die Spieler individuelle Stärken entwickeln können. Die Skalen sind leider unvollendet geblieben.
Le Havre Prototyp
Schon damals hatten meine Warenmarken zwei Seiten, nur dass sich auf der einfachen Seite die „veredelten“ Waren befanden, wie ich sie in „Le Havre“ nannte, auf der anderen Seite der Gelderlös. Mehl war 2 Geldeinheiten wert, Möbel 3, Kohle 4, Bier 5, Tuch 6, Ziegel 8 und Eisen 12. Diese Waren produzierte man in verschiedenen Gebäuden. Zur Herstellung der meisten Waren benötigte man Energie. Energie bekam man in der Zeche (Kohle) oder auf direktem Wege, indem man eine Köhlerei an Wälder grenzend gebaut hat. Neben diesen Gebäuden sah mein erster Entwurf die Gebäude Mühle, Tischlerei, Brauerei, Weberei, Ziegelei und Stahlhütte vor.
Die Gebäude sollten versteigert werden. Heute würde ich auf jedes Versteigern, wenn es irgendwie geht, verzichten. Versteigerungen hinterlassen bei Neulingen gegenüber Leuten, die das Spiel schon gut kennen, häufig das Gefühl, irgendwie immer den falschen Preis zu bieten. Wer ein Gebäude ersteigert hat, sollte sofort produzieren und mit dem Verkaufserlös neue Gebäude erwerben können. In den ersten Runden sollte es Unterstützungszahlungen an die Spieler geben, die nicht sofort zum Zuge kommen, damit nicht gleich eine Schere aufgeht und der Sieger schon nach wenigen Minuten feststeht.
Gebäude Le Havre Prototyp
5. Dezember - Gebäudeversteigerung im ersten Spielentwurf:
Für die Versteigerung habe ich mir einen Kartenmechanismus einfallen lassen, der es wert ist, einmal in ein anderes Spiel eingebracht zu werden.
Gebäudekarten der gleichen Sorte haben einen variierenden Basiswert. Manche Ziegeleien kosten 4, andere 12, wiederum andere 20 Geldeinheiten. Jeder Spieler hat 7 Karten auf der Hand: -10, -5, -2, +2, +5, +10 und „Aus“. Jeder legt verdeckt eine Karte ab. Wer „Aus“ legt, steigt aus der Versteigerung aus. Bleibt nur einer übrig, zahlt er den Basiswert des Gebäudes, modifiziert mit dem Wert auf seiner zuletzt gespielten Karte. Bleibt kein Spieler übrig, erhält niemand den Zuschlag und in der folgenden Runde werden gleich zwei Gebäude versteigert. Erst nach der sechsten Karte wird die Versteigung abgebrochen. Der Zuschlag geht an den Meistbietenden: Wer die -10 gelegt hat, müsste, wenn er den Zuschlag bekäme, nun statt 10 Geldeinheiten weniger 10 mehr zahlen, wer die -5 gelegt hat, 11 Geldeinheiten mehr, wer die -2 gelegt hat, 12 Geldeinheiten mehr, usw. Wer die +10 gelegt hat, müsste schließlich 15 mehr zahlen. Die Spieler müssen also Angst haben, dass einer von ihnen am Ende teuer kaufen muss. Bei Gleichstand entscheidet eine extra angezeigte Spielreihenfolge.
Ich habe diesen Ansatz nicht weiterverfolgt, weil ich mich durch die sich ständig wiederholenden Versteigungen in der Spieldauer beschränkt sah: Ich hielt eine maximale Spieldauer von 45 Minuten für angemessen. Aber in diesem kurzen Zeitrahmen glaubte ich, keinen vernünftigen Spielaufbau hinzubekommen.
Energiemarker aus dem fertigen Spiel
6. Dezember - Der zweite Entwurf:
Als „Agricola“ im Oktober 2007 erschienen ist, hatte ich das fertig produzierte Spiel wochenlang nicht gespielt. Der Grund bestand darin, dass ich mit Ideen zu meinem zweiten Entwurf schwanger ging. Ich wollte mich bei der Entwicklung des Spiels nicht daran stören müssen, dass mir das neue Spiel zunächst schlechter gefallen könnte, als das alte. Und dies dürfte recht wahrscheinlich gewesen sein, alleine, weil am Anfang jeder Entwicklung ein umfangreiches Spiel immer unausgereift ist.
Prototyp Le Havre
Ich machte mir Gedanken, wie ich Waren anders auf Aktionsfelder bekam, als sie zu Rundenbeginn auszulegen. Die Waren mit jedem Zug kontinuierlich ins Spiel zu bringen, hatte den Nachteil, dass die Spieler so auf ihre Spielzüge bedacht sein könnten, dass sie den Nachschub vergessen (siehe Kapitel 10, „Die beiden Hauptprobleme in der Testphase“). Ich wollte es trotzdem ausprobieren. Bezüglich des Themas wollte ich bei meinem ersten Entwurf ansetzen: Ich entsann mich, die beiden Seiten der Spielmarken als Ware und Verkaufserlös genutzt zu haben, und wollte hieraus nun Ware und veredelte Ware machen. Die Energie band ich in der gleichen Weise wie 2 ½ Jahre zuvor ein. In der Köhlerei sollte aus Holz Holzkohle und in der Kokerei aus Kohle Koks werden. Gestartet habe ich den Entwurf gleich mit Eisen, Korn, Vieh und Fell, mit dem einzigen Unterschied zu heute, dass ich am Anfang Korn, Vieh und Fell allesamt mit 1 Energie pro Ware umwandeln wollte. Fisch wurde erst einige Gedanken später in das Konzept eingebunden. Steine sah ich zunächst als einzige Ware vor, die nicht veredelt werden sollte, bis mir klar gemacht wurde, dass in der modernen Zeit gar nicht mehr mit Steinen gebaut wurde, sondern mit Ziegelsteinen, und dafür benötigte ich die Basisware Lehm. Auch Zement zog ich in Erwägung, sah diesen dann aber erst für eine Erweiterung vor (siehe Kapitel 23, „Die erste Erweiterung - Äpfel und Kalk“).
Uwe vor Agricola / Le Havre Plakat
7. Dezember - Ein Hofplan wie bei Agricola:
Ich wollte den Spielern wie bei „Agricola“ eine Art Hofplan geben, diesmal auf 4x7 Feldern. Die acht untersten Felder sollten mit zwei Waldplättchen belegt werden, die für den Preis von je 1 Nahrung gerodet werden konnten. Auf diese Weise sollten die Spieler an zusätzliches Holz kommen und ihre Bebauungsfläche vergrößern können - eine Idee, die inzwischen in die Torf-Erweiterung von „Agricola“ (erfunden im November 200cool eingeflossen ist.
Uwe beim Prototyp testen
Bebaut werden sollte der Plan mit den bekannten Gebäuden, die als Plättchen bereit liegen. Die Köhlerei ist 1 Hoffeld groß, die Kokerei 2 Hoffelder usw. Unten grenzt der Hofplan an Wald, nach oben an Wasser. Werft, Dock, Reederei und Bootshaus sollten nur am Wasser gebaut werden dürfen. Mit Hilfe dieser Gebäude sollten Waren verkauft oder in Luxusartikel eingetauscht werden dürfen: Zu Beginn meiner Planungen hatte ich tatsächlich neben Geld, Nahrung, Energie und Siegpunkte noch eine fünfte „Währung“ für das Spiel vorgesehen: Luxusartikel sollten gegen Siegpunkte eingetauscht werden können. Ich stellte mir drei Sorten von Schiffen vor, auf denen Warenplättchen abgelegt werden: Holzschiffe für 5 Holz, Eisenschiffe für 4 Eisen und Stahlschiffe für 3 Stahl. Zunächst sah ich vor, dass jeder Spieler nur 2 Schiffe haben darf und dass die Waren abhängig vom Schiff einen unterschiedlich hohen Erlös erzielen: Stahlschiffe fahren eben in weiter entlegen gelegene Gebiete als Holzschiffe.
Le Havre Gebäude mit Subventionen
8. Dezember - Der Spielzug:
Aus zwei Hauptaktionen sollte ein Spielzug bestehen, einer Basisaktion und einer Gebäudeaktion.
Die Gebäudeaktion sollte wie im veröffentlichten Spiel durchgeführt werden, nur dass jeder Spieler einzig seine eigenen Gebäude nutzen darf und dass er von jeder Gebäudeart beliebig viele haben darf.
Unter Basisaktionen habe ich anfänglich mehr verstanden, als später, wo Waren einfach nur noch von den Angebotsfeldern genommen werden durften. Ich liste die Basisaktionen einmal auf: Von einer Warensorten alle ausliegende Waren nehmen, 1 Gebäude bauen, 1 Ackerplättchen (für 1 Nahrung) sowie 1 Weideplättchen (für 1 Holz) legen, Pachten als Hofplanerweiterung, Wald roden wie oben beschrieben, Korn aussäen ähnlich wie bei Agricola und schließlich Schiffe mit Waren beladen.
Die Waren wollte ich von Beginn an über 7 Nachschubplättchen ins Spiel bringen. Nach 7 Spielzügen sollten die Spieler eine Abgabe zahlen: 1 Nahrung am Anfang, 3 Nahrung bei einer Länderei Pacht, 5 Nahrung bei zwei Ländereien Pacht usw. So sollte der Nahrungsbedarf ansteigen. Auf die Rundenkarten bin ich erst später gekommen, am Anfang sollten die Runden mit einem Würfel mitgezählt werden und nach 7 Runden sollte das Spiel beendet sein.
Zuerst sah ich noch zweimal Kohle für die Nachschubplättchen vor. Daraus ist zweimal Geld geworden, als ich bemerkte, dass mit regelmäßiger Kohle, die ins Spiel kommt, die Köhlerei überflüssig wäre.
In einer Art Brainstorming listete ich Gebäude auf, mit denen sich die Spieler Vorteile verschaffen können. Die Tischlerei/Steinschneiderei z. B. tauscht Holz/Stein gegen Nährwerte. Fischrestaurant/Schmiede tauscht Fisch/Eisen gegen Siegpunkte. Mit der Fischerei/Försterei/Eisenaffenerie/Zeche bzw. dem Steinbruch bekommt der Spieler 1 Fisch/Holz/Eisen/Kohle bzw. 1 Stein zusätzlich, wenn er Waren dieser Art nimmt. Mit Metzgerei/Bäckerei wird Vieh/Brot nahrhafter. Ich sah vor, dass diese Waren verfaulen konnten. Mit einem Lagerhaus sollte der Fäulnis Einhalt geboten werden.
9. Dezember - Abschied von den Hofplänen:
Von den Hofplänen nahm ich bald Abschied. Zuerst wollte ich die Gebäude aus gleichartigen Plättchen machen und wie bei Puerto Rico (Alea, 2002, Andreas Seyfarth) auf ein Bord ablegen: Jede Spalte steht für eine neue Pacht, und mit jeder Pacht steigen die Nahrungsanforderungen. Als ich bemerkte, dass viel zu viel Spielzeit vergehen würde, wenn jeder Spieler seine eigenen Gebäude baut, stellte ich die Gebäude auf Spielkarten dar und ließ sie gemeinschaftlich nutzen. Die Spielkarten sahen schon im ersten Entwurf wie heute aus, nur dass sich an Stelle der Angel ein Symbol befand, das darauf hinwies, dass das Gebäude am Wasser (Werft) bzw. auf gerodetem Wald (Zeche) gebaut werden müsse. Für Wasser, Ebene und Wald sollte es getrennte Ablagen geben.
Amtsgericht in Le Havre und in der Wirklichkeit
Zwei bis drei Wochen habe ich alleine vor mich hingespielt. In der Woche vor der weihnachtlichen Heimfahrt zu meinen Eltern hatte ich das Spiel vorführfertig. Ich wollte es dennoch weiterhin nur alleine spielen. Bei mir ist es so, dass ich, sobald ich ein neues Spiel einmal mit Anderen gespielt habe, ich es nicht mehr gerne alleine spielen mag: Dann ist es für mich nicht mehr aufregend genug, für alle Parteien mitdenken zu müssen. Da mir aber eine Woche bevorstand, in der ich mich neben der täglichen Inventur (meine Eltern führen ein Textilgeschäft) auch noch so beschäftigen wollte, wollte ich mir den Spaß am Alleine Spielen auf keinen Fall verderben. Meine Eltern sind Normal- oder Gelegenheitsspieler. Die wollte ich mit meinem umfangreichen Projekt nicht behelligen.
10. Dezember - Die beiden Hauptprobleme in der Testphase:
Nach meiner ersten Le-Havre-Partie mit Mitspielern wusste ich selbst nicht so recht, was ich von dem Spiel halten sollte, obwohl ich es bis zu diesem Zeitpunkt in jeder Besetzung alleine durchgespielt hatte. Ich hatte mit meiner Ehefrau Susanne zu zweit gespielt und die Partie war sehr reedereilastig. Dies ließ sich aber leicht korrigieren. In meiner zweiten Partie, einer Vierpersonenpartie um Silvester herum, traten zwei Hauptprobleme auf, die ich mit dem Spiel hatte, offen zu Tage.
1.) Die Spieler vergessen den Nachschub.
2.) Die Spieler vergessen die Rundenkarte umzudrehen.
Holzschiff
Den Nachschub vergaßen sie schon deshalb, weil ich diesen anfänglich nach der Hauptaktion angesetzt hatte. Ich liebe es, einen Spielzug mit einem Ritual wie Kartennachziehen zu beenden (siehe „Bohnanza“), damit der nächste Spieler weiß, dass er an der Reihe ist. Als der Nachschub vor die Hauptaktion gezogen wurde, wurde er seltener vergessen, aber er wurde immer noch vergessen. Und wenn er vergessen wurde, konnte sich niemand richtig erinnern. Die geniale Idee zur Lösung dieses Problems hatte Susanne: Jeder Spieler erhält einen eigenen Nachschubstein (in der Veröffentlichung „Schiffstein“), den er vorsetzt. Vorher gab es nur einen gemeinsamen Nachschubstein und man konnte ihm nicht recht ansehen, ob er vorgesetzt wurde oder nicht. Bei individuellen Schiffsteinen sieht man jederzeit, wer den letzten Nachschub gemacht hat: spätestens durch die Festschreibung, dass der Schiffstein erst vorangesetzt werden muss, bevor die Waren ins Angebot gelegt werden dürfen.
Schifffiguren
Nun zur Rundenkarte. Mit jeder Rundenkarte, die am Ende einer Runde nicht umgedreht wird, dauert die Partie eine Runde länger. Auf hohem Niveau gespielt ist dies häufig eine Runde zu viel. Noch ärgerlicher: Die Spieler kommen unterschiedlich oft an die Reihe. Dieses Problem habe ich erst nach bestimmt 100 Testpartien lösen können: Die Rundenkarten bekamen Prüfziffern, denen jederzeit genau zu entnehmen war, wer in welcher Runde den ersten Zug macht. Stimmt die Prüfziffer nicht, wurden entweder zu viele Rundenkarten (das passiert allerdings selten) oder zu wenig Rundenkarten aufgedeckt. Der Fehler wird korrigiert, sobald er entdeckt wird, und das Spiel kann weitergehen.
11. Dezember - Energie:
Im Verlauf der Entwicklung bekam ich keine Motivations-, sondern Energieprobleme. Alles war fertig entwickelt, da stieß mich mein Vater darauf, wie unlogisch es doch wäre, dass ich die Bauwerke um das Jahr 1900 herum noch mit Steinen errichten ließ. Betriebs- oder Bauernhofblindheit nennt man das wohl. Rasch tauschte ich die Ware Stein gegen Lehm aus, führte die Ziegelei ein und ließ die Werftmodernisierung mit 1 Ziegel statt mit 1 Stein durchführen. Darauf, dass man zur Herstellung von Ziegel eigentlich auch Energie benötigt, musste mich Hagen Dorgathen stoßen. Hagen gefiel auch nicht, dass ich Fisch im Fischrestaurant zu Fischgerichten aufwertete, er wollte die Fische lieber in der Räucherei geräuchert sehen. Aber auch dafür musste ich Energie aufwenden. Dies war für mich ein kleines Problem, denn ich sah eigentlich schon alle Parameter fertig eingestellt. Wie also sollte ich den zusätzlichen Energiebedarf im Spiel ausgleichen? Ganz einfach: Ich teilte bei Spielbeginn an jeden Spieler 1 Kohle aus.
Schifffiguren
Ein kurzer Vorgriff: Mein letztes Problem in der Entwicklung von „Le Havre“ hatte ich ebenfalls mit der Energie. Die spät ins Spiel kommende Kokerei hatte kaum Bedeutung. Ich zog sie daraufhin zeitlich (um zwei Ordnungszahlen) nach vorne und subventionierte sie mit 1 Franc pro Koks. Seither besuchen die Spieler die Zeche öfters schon einmal, nur um später groß in die Koksproduktion einzusteigen: Beim Verschiffen ist Koks immerhin 5 Franc wert.
12. Dezember - Subventionen:
Nach Ziegelei und Räucherei war der Broterwerb mein nächster HOP (Halbjahresordnungspunkt, denn so lange dauerte die Entwicklung des Spiels). Am Anfang hatte ich doch glatt vorgesehen, pro in Brot umgewandeltes Korn 1 Energie zu verlangen. Das war viel zu viel. Aber selbst, als nur noch die halbe Energie verlangt wurde, ging das Backgewerbe unter. Erst mit der Subvention von ½ Franc pro Brot, erreichte das Brotbacken eine gebührende Bedeutung. Jetzt erst konnte das Brotbacken es mit der Viehhaltung aufnehmen.
Ich hatte zusätzliche Francausschüttungen von Beginn an eigentlich nur beim Fischrestaurant geplant: Klar, im Fischrestaurant verdient man Geld. Subventionen ins Spiel einzuführen, war nicht mein Plan. Aber dann wurde das Fischrestaurant zur Räucherei und mit der Backstube, heute Backhaus, lief es nicht gut. Die Ziegelei musste kurz nach ihrer Einführung aufgewertet werden, genauso wie später auch die Kokerei.
Subventionen
Bleibt noch über die Gerberei zu berichten. Warum kann man in der Gerberei nicht beliebig viel Fell in Leder umwandeln? Ich habe beim Spielen festgestellt, dass ich mit 8 Vieh häufig in einen Ernährungsengpass geraten bin. Mit der Gerberei habe ich versucht, den Spieler zu motivieren, mit dem Schlachten noch so lange zu warten, bis er 10 Vieh zusammen hat. 2 Vieh sollte er für die weitere Vermehrung übrig behalten, aus 8 Vieh entstehen 4 Felle, gerade so viele wie mit der Gerberei im Idealfall in Leder umzuwandeln sind. Die 1-Franc-Subvention bringt den Spieler tatsächlich dazu, dass bei 90 % der Gerberei-Besuche genau 4 Felle umgewandelt werden.
Ähnliches hat mich bei den Fischen veranlasst, für das Räuchern eine Obergrenze einzuführen. Wegen der Fischerei ist es einfacher, schnell viele Fische zusammenzubekommen, als viel Korn und Vieh zu bekommen. Diese soll der Spieler dann wenigsten nicht so schnell umgewandelt bekommen. Für die Obergrenze von 6 Fischen habe ich mich entschieden, um auch hier ein klares Ziel zu setzen. Für die Umwandlung von 6 Fischen gibt es 3 Franc zusätzlich, für die Umwandlung von 5 Fischen nur 2 Franc.
13. Dezember - Die Reederei:
Das einzige Gebäude, an dem ich über längere Zeit hinweg immer wieder kleine Veränderungen vorgenommen habe, ist die Reederei. Für jede Ware musste ich einen Preis finden, der für Spielreiz sorgt, aber auch nicht fern jeder Realität liegt. Brot und Vieh sind mit 3 Franc sehr wertvoll. Das liegt daran, dass diese Marken lange für die Ernährung benötigt werden, gegen Spielende aber, wenn die Spieler über mehrere Schiffe verfügen, nicht mehr wichtig sind. Gerade die Schiffe sollen es dann sein, die den Marken einen neuen Sinn geben: Mit ihnen kann Geld verdient werden. Dass Vieh geschlachtet weniger wert ist, begründe ich mit der Haltbarkeit, spieltechnisch hat es den Reiz, dass sich der Spieler zeitig überlegen muss, wie viel Vieh er schlachtet. Immer alles Vieh zu schlachten, wäre zu einfach. Sämtliches Korn zu verbacken ist hingegen nicht so leicht möglich, denn hierfür wird Energie benötigt. Leder war wie Koks 5 Franc wert, nur dass ich im Zuge meiner Schlachtüberlegungen (siehe Kapitel 12, „Subventionen“) von den 5 Franc 1 Franc direkt ausgezahlt habe.
Die Reederei
Stahl ist mit 8 Franc die wertvollste Ware, sie durfte aber auch nicht zu wertvoll sein, denn sonst würden keine Luxusschiffe mehr gebaut werden, die mit ihrem Wert in einem wohlkalkulierten Verhältnis zu den späten Gebäuden im Spiel stehen. Dass ich Eisen mit nur 2 Franc belegt habe, liegt daran, dass ich möchte, dass die Spieler mit Eisen arbeiten und es nicht einfach wieder abgeben. Ansonsten könnte das Spiel langweilig werden, falls die Eisenhütte einmal spät ins Spiel kommt. Ähnliches gilt für Ziegel. Es wäre nicht schön, wenn Ziegelverkauf bewirken würde, dass Gebäude eher gekauft als gebaut werden.
14. Dezember - Bauen oder Kaufen:
Beim Regelerklären - wie auch in der Spielregel - gehe ich auf den Unterschied zwischen Bauen und Kaufen genau ein. Ich sage immer dazu, dass dies die schwierigste Regel im Spiel ist. Mein Wortlaut ist in etwa dieser: „Bauen geht mit Baumaterial und ist eine Hauptaktion, gekauft wird mit Geld und ist eine zusätzliche Aktion. Man möge denken, dass Kaufen dann doch viel attraktiver ist, nur wird durch das Kaufen beim Ziel, möglichst reich zu werden, Bargeld 1:1 angelegt. Der Spieler kommt dem Spielziel damit nicht näher. Beim Bauen hingegen wird wertloses Baumaterial in wertvolle Gebäude umgesetzt. Meine Spielerfahrung sagt, dass über 80 % der Standardgebäude gebaut und nicht gekauft werden.“
Die Baugebäude sind am Ende auch die Gebäude, die ich beim Erklären der Spielregel neben Marktplatz, Werft und Amtsgericht genau erkläre. Alle anderen lasse ich unerwähnt.
Bauen oder Kaufen?
15. Dezember - Schulden:
Das Amtsgericht führe ich nicht nur deshalb an, um zu zeigen, wie nett es ist. Ich erkläre auch, dass man Schulden nicht freiwillig machen kann. Man wird reingedrängt und zahlt dann jede Runde 1 Franc Zinsen. Man mag sich denken, dies müsse man auf jeden Fall verhindern, aber es gibt zwei Gründe, warum es doch nicht so schlimm ist. 1.) Wenn man mehrere Schuldscheine hat, muss man trotzdem insgesamt nur 1 Franc Zinsen zahlen. Und 2.) Im Amtsgericht kann man bis zu 2 Schuldscheine wieder abgeben, ohne etwas dafür zahlen zu müssen. In der Anfangszeit der Entwicklung hatte das Amtsgericht noch etwas mehr mit der Wirklichkeit zu tun. Für den Gang ins Amtsgericht gab es Offenbarungseidkarten: Für den Rest des Spiels musste der Spieler, wenn er 6 Franc oder mehr hatte, sofort alles Geld, was über 5 Franc hinausging, auf die Karte „Offenbarungseid“ legen. Diese wurde er nur wieder los, sobald sich 10 Franc auf der Karte angesammelt hatten. Diese 10 Franc gingen dann in die Stadtkasse. Dies war eine komplizierte Regel, die für das Spiel nicht unbedingt nötig war. Ich schmiss sie raus und spielte eine Zeitlang nur noch auf Schulden, um die Auswirkungen meiner „Liberalisierung“ zu testen. Mein Ziel ist, die „Schuldenpolitik“ in diesem Spiel so gestaltet zu haben, dass sich Schulden per se nicht lohnen, wohl aber dann, wenn man, um sich nicht zu verschulden, einen guten Spielzug auslassen müsste.
Spielkarten: Schuldschein und Amtsgericht
16. Dezember - Standard- oder Sondergebäude:
Die Sondergebäude habe ich erst ins Spiel aufgenommen, als das Grundgerüst für die Basisgebäude fertig war. Mir fielen noch einige weitere Gebäude ein, die das Spiel allerdings zu sehr aufgebläht hätten. Ich konnte pro Partie nur wenige neu aufnehmen. In den Tests gefielen mir einige so gut, dass ich sie gegen Gebäude aus dem Basisspiel getauscht habe. Die Hauptwache ist zum Sondergebäude geworden. Krananlage, Haupt- und Güterbahnhof sind inzwischen sogar in die Riege der ersten Erweiterungskarten abgestiegen. Die Krananlage ermöglichte zusätzliche Kapazitäten beim Verschiffen, der Hauptbahnhof lässt den Spieler beim Verlassen zwei Gebäude in Folge kostenlos betreten, während der Güterbahnhof gewissermaßen eine Reederei ohne Schiffe ist. Lagerhaus und Kulturzentrum waren ursprünglich als Sondergebäude erfunden worden. Für das Zweipersonenspiel waren sie ungeeignet. Den Gebäuden blieb nur der Ausschluss aus dem Spiel oder der Aufstieg zu den Standardgebäuden. Ich mochte beide sehr gerne und irgendwie gehören sie auch zum Le-Havre-Thema. Das dritte Standardgebäude neben Lagerhaus und Kulturzentrum, das nur im Spiel mit 4-5 Personen vertreten ist, ist das Dock. Dieses hatte ich allerdings von Beginn an für das Spiel vorgesehen. Das Dock gibt Sonderpunkte für viele Schiffe. Im Spiel mit wenigen Spielern werden leider allzu viele Schiffe gebaut. Gut, ich hätte im Spiel mit wenigen Spielern weniger Sonderpunkte für die Schiffe geben können, aber ein ich musste sowieso ein paar Gebäude herausnehmen, um die Spielzeit angemessen zu verkürzen.
Spielkarte: Kulturzentrum Gebäude
Bei der Entwicklung bin ich so vorgegangen, dass ich erst einmal nur für zwei Spieler getestet habe. Die Dreier- und später Viererversion wollte ich dann durch Hinzunahme der nötigen Gebäude anpassen. Im Unterschied zu „Agricola“ habe ich nach der Anpassung immer noch Veränderungen vorgenommen. Die Gebäude sind wild zwischen der Qualifikation zum 2-4er-Spiel, 3-4er-Spiel und reinem 4er-Spiel hin und hergeschwankt. Dies war bei den vergleichbaren Agricola-Ausbildungskarten einfacher.
Das Original
17. Dezember - Kurzspielversion:
Die Kurzspielversion zu „Le Havre“ habe ich erst in Angriff genommen, als die Komplettversion fertig war. Kürzer heißt weniger Runden, und weniger Runden bedeutet weniger Gebäude. Welche Gebäude sollte ich herausnehmen? Zunächst natürlich alle Sondergebäude. Dann habe ich mir für jede Spielerzahl genau überlegt, welche Gebäude notwendig sind. Es blieben immer noch so viele übrig, dass ich den Spielern zu Beginn wesentlich mehr Waren in den Vorrat und ins Angebot gelegt habe, so dass mit dem Gebäudebau schnell begonnen werden konnte - so schnell, dass im Vier- und Fünfpersonenspiel die Baugebäude schnell alle belegt und somit blockiert waren. Ich erhob das Sägewerk, das vierte Baugebäude, also zu einem weiteren Startgebäude. Nicht nur Gebäude, sondern auch Rundenkarten mussten aus dem Spiel weichen. Im Solo- und Zweipersonenspiel stiegen Nahrungsforderungen damit so schnell, dass ich dem nur Einhalt gebieten konnte, indem ich den Spielern Startholzschiffe an die Hand gab.
Blieb zu guter Letzt die Frage, wie ich mit geeigneten Icons anzeige, wann welche Gebäude im Spiel sind. Bei 2x5 Spielvariationen bedurfte es einer geeigneten Übersicht. Schön war, dass ich die Rückseite der Gebäudekarten noch zur freien Gestaltung hatte, da es nicht wichtig war, dass alle Karten eine einheitliche Rückseite bekommen. Und so hat jede Gebäudekarte ihre eigene Übersicht bekommen, die man obendrein im Spielverlauf sinnvollerweise kein einziges Mal mehr zu Gesicht bekommt.
Sägewerk
18. Dezember - Der Weg bis zur Veröffentlichung:
Ende April 2008 rief Hanno eine Art Programmkonferenz ein. Er lud seine Freunde ein und ließ alle Spiele, die für eine Veröffentlichung in Frage kamen, testen. Erst nach der dritten Testpartie war Hanno von „Le Havre“ überzeugt. Die ersten beiden hatten wir jeweils zu fünft, die dritte dann erst zu dritt gespielt. Zu fünft ist das Spiel ausgesprochen downtime-anfällig, soll heißen, die Wartezeiten bis zum nächsten Spielzug können sehr lang sein. Nicht zuletzt aus dieser Erfahrung heraus, haben wir das Spiel dann auch in der Veröffentlichung für 1-4 Spieler und nur in Klammern für 5 Personen angesetzt. „Le Havre“ empfehle ich nur dann zu fünft, wenn alle am Tisch recht erfahren mit dem Spiel sind, aber auch, wenn die Spieler aus dem Bauch heraus spielen oder konzentriert im Spielzug des Vorgängers über ihren Zug nachdenken. Das wiederum geht bei „Le Havre“ sehr gut. Für den Fall, dass der Vorgänger genau den Zug macht, den man selbst plante, kann man immer noch ein paar Sekunden routinejammern und sich ein wenig Bedenkzeit ausbitten.
Uwe beim Spiel begutachten und das fertige Spiel
19. Dezember - Wir machen es:
270 Einträge umfasste meine Testspielerliste am Ende. Den ganzen Entwicklungsprozess über habe ich mir die Namen aller Testspieler aufgeschrieben. Nur so konnte ich mich bei hoffentlich allen bedanken (bei einem aus Versehen sogar doppelt, Rätselfrage: wer ist es?).
Als wir Klemens Franz, unseren Agricola-Illustrator, dann Anfang Mai gefragt haben, ob er auch dieses Spiel wieder für uns und mit uns macht, sagte er sofort zu, auch wenn er für die fragliche Zeit im Sommer den Familienurlaub eigentlich schon gebucht hatte. Am Ende wurde es leider so eng, dass Klemens tatsächlich seine Familie vorgeschickt hat, um das Spiel noch fertig zu bekommen. Bis auf die Spielregeln hat das denn auch alles geklappt - die hat Klemens gemacht, als er wieder zurückgekommen ist.
Uwe und Klemens bei der Preisverleihung
Womit sich Klemens am meisten verschätzt hat, das sind die Spielkarten. Bei „Agricola“ hatte er zunächst das Layout gemacht, die Karten dann mit Schnellzeichnungen gefüllt, Texte und Icons gesetzt und war fertig. „Le Havre“ hatte nur ein Drittel der Karten, jede einzelne aber war ein Kunstwerk für sich. Und dann die Rundenübersichtskarten: Jede Karte hat bis zu 80 Icons, die an die richtige Stelle gerückt werden mussten. 45 Minuten hat das pro Kartenseite gedauert. Bei 10 Kartenseiten waren das 7,5 Stunden für 5 Spielkarten. Unglaublich. Mit dem Spielplan ging es dafür schneller. Aber den hatte er leider schon im Vorfeld vorbereitet, was seinen Trugschluss, er könne das Spiel schnell fertig stellen, leider nur genährt hat.
In der Spielregel zu „Le Havre“ steckt so viel Arbeit, wie ich in keinem Spiel zuvor erlebt habe. Und dabei habe ich noch nicht einmal alleine an der Regel gesessen. Ich hatte Ralph Bruhn über seine Agricola-Rezension kennen gelernt, in der er Kritik an der Spielregel übte. Für „Le Havre“ bot er mir an, mich zu unterstützen. Ich schickte ihm meinen mehrfach überarbeiteten Regelentwurf zu. Und Ralph stellte ihn komplett um. Es gab noch eine ganze Reihe von Korrekturgängen. Jeden seiner Schritte hat Ralph mir erläutert (siehe auch ausführlicher Agricola-Bericht, Kapitel 83, „Die drei Gesichtspunkte einer guten Spielregel“), so dass ich am Ende sagen kann, dass ich einiges dazugelernt habe. Ich freue mich auf die weitere Zusammenarbeit mit Ralph.
Ralph Bruhn
20. Dezember - Eine Reise nach Le Havre:
Ursprünglich war es nur eine „Cidreidee“ (entstanden aus einer „Cidrelaune“), das Spiel als Anlass zu nehmen, eine Reise in die Normandie zu planen. Aber neugierig war ich dann doch auf die Stadt. Untergekommen sind Susanne und ich vom 15. bis zum 22. Juni in Port-de-Bessin, in der Nähe von Bayeux. Am Ende unternahmen wir eine einzige Tagestour nach Le Havre. Le Havre gilt als hässliche Stadt. Und wir mussten dies leider bestätigen. Die Fahrt über die Normandie-Brücken (es sind zwei, die direkt aufeinander folgen) war aufregend. Auf der Rückfahrt ist Susanne gefahren. Da habe ich meinen Fotoapparat auf alles draufgehalten, was sich nicht bewegt hat, in der Hoffnung, ein paar brauchbare (beinahe hätte ich geschrieben „hübsche“) Motive für die Illustration zu erwischen. Für die Lagerhallen z. B. hatte Klemens längst einen Entwurf. Das Witzige: Diese ähnelten meinem Foto verblüffend. Überhaupt haben Susanne und ich viel Zeit damit verbracht, Fotos zu schießen. Uwe zeigt seinen Prototypen hier, Uwe zeigt seinen Prototypen dort. Das fertige Spiel hatte ich ja noch nicht. Die Kirche St. Josef bot uns eine Abkühlung, Lokalteiljournalisten würden sagen, eine willkommene Abkühlung. Heiß war es die Woche über, aber angenehm. Der Park um das Rathaus herum war belebt. Belebt mit Jugendlichen, die ihre Zeit dort verbracht haben. Die eine Gruppe mit so lauter Musik, dass man nicht an ihnen vorbeihören konnte. Aber niemand hat sich daran gestört.
Bleibt abschließend zu erwähnen, dass Cidre auch vor Ort grauenhaft schmeckt, das erste alkoholische Getränk nach Kölsch, das ich in den Ausguss geschüttet habe.
Spielkarte: Lagerhallen und das Original
21. Dezember - Eine deutsche und eine englische Version:
Lange haben wir gezögert, um zu entscheiden, ob wir wie bei „Agricola“ für die Spielemesse 2008 in Essen zunächst nur eine deutsche Version machen sollten. Klemens hat sich letztes Jahr ja die Mühe gemacht, noch einen englischen Dummy zu basteln, damit auch die Besucher sich das Spiel ansehen konnten, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind. Nicht wenige Messebesucher werden dabei den Eindruck gehabt haben, es handele sich bei Lookout Games um einen englischsprachigen Verlag.
Dadurch, dass wir mit dem Heidelberger Spieleverlag jetzt einen Vertrieb haben, der auch in den USA sehr aktiv ist, bot es sich für uns an, gleich 5000 englische Exemplare selbst zu drucken, und erst für die zweite Auflage einen Partner zu suchen. Für „Agricola“ hatten wir Z-Man-Games als Partner gewonnen. Mit der Zusammenarbeit mit Zev Shlesinger waren wir immer mehr als zufrieden.
Zev Shlesinger
Für die Übersetzung danken wir Melissa Rogerson. Eine besondere Freude war es uns, sie dabei zu haben, als wir den Deutschen Spielepreis für „Agricola“ entgegengenommen haben. Denn auch schon für dieses Spiel leistete sie die ganze Übersetzungsarbeit.
Melissa Rogerson
22. Dezember - Le Havre auf der Spielemesse in Essen 2008:
„Le Havre“ hat auf der Spielemesse in Essen 2008 durch „Agricola“ große Aufmerksamkeit bekommen, stand auf der anderen Seite aber auch im Schatten des Vorgängers. 1500 deutsche und 600 australische Exemplare hatten wir (Australisch, weil sich im Vorfeld Engländer und Amerikaner stritten, in welchem Englisch das Spiel übersetzt werden solle und weil unsere Übersetzerin Australierin ist.) Die 1500 deutschen Exemplare haben gereicht, hatten wir doch im Vorjahr auch nur 700 „Agricola“ an Endkunden verkauft. Die 600 englischsprachigen Spiele waren dagegen frühzeitig ausverkauft. Dies verwundert mich aus heutiger Sicht etwas weniger, war die Le-Havre-Seite doch auch im Vorfeld der Messe eine der meist besuchten Seiten auf www.Boardgamegeek.com. In den Wochen nach der Messe belegten in dieser Rangliste „Dominion“, „Agricola“ und „Le Havre“ in unterschiedlicher Reihenfolge die Plätze 1 bis 3. „Dominion“ ist das vielleicht überragende Kartenspiel des 2000er-Jahrzehnts und im Hans-im-Glück-Verlag erschienen.
Essen 2008
12 zusätzliche Sondergebäude hatten wir gedruckt, mit denen wir uns bei unseren Kunden für den Kauf bedanken wollten. Pro vollendeten 10-Euro-Schein gab es eine Karte. Wer alle Karten haben möchte, wird sich diese bald über unsere Internet-Seite www.Lookout-Games.de gegen eine Afrika-Spende zuschicken lassen können. Dort kann man sich auch über unser - auf mehrere Jahre angelegtes - Afrika-Projekt informieren. Wir unterstürzen die Arbore, ein kleines Volk im Süden von Äthiopien.
Die 12 Sonderkarten
23. Dezember - Die erste Erweiterung - Äpfel und Kalk:
Die ersten Ideen für eine Erweiterung kamen mir Mitte Juli in der Woche, als die Illustrationen für das Basisspiel fertig gestellt waren, ich aber immer noch nichts anders als das Spiel im Kopf hatte. Als neue Spielmarken ersann ich Apfel (½ Nahrung, 1 Reederei-Franc) mit Rückseite Cidre (2 Nahrung, 3 Reederei-Franc) und Kalk (3 Reederei-Franc) mit Rückseite Zement (4 Reederei-Franc).
Die Äpfel waren für kurze Zeit Trauben, aus denen Wein gekeltert wurde, bis mich Ingo Kreiner darauf aufmerksam machte, dass die Normandie nicht gerade ein Weinanbaugebiet ist. Schade, Wein war für meine Idee besser geeignet, dass man mit einer Flasche Wein Einlass in jedes (auch besetztes Gebäude) Einlass bekommt. Nun, Cidre tut es wohl auch, ich würde mich damit allerdings nicht bestechen lassen. Bis zu 7 Äpfel werden in der Kellerei in Cidre umgewandelt. Aus Kalk soll zusammen mit Eisen Zement werden (2 Energie pro Umwandlung). Zement wiederum soll jeden Baustoff ersetzen - auch bei Modernisierungen. Die Äpfel sollen über die Apfelplantage ins Spiel kommen: 1 Apfel + 2 Äpfel pro Wirtschaftsgebäude (unter den Sondergebäuden gibt es viele Wirtschaftsgebäude, die dann eher mal gekauft werden). Der Kalk kommt über das Kalksteinvorkommen ins Spiel: 2 Kalk + 1 Kalk pro Hacke.
In der gleichen Zeit habe ich mich auch erst einmal wieder mit der Erstellung von neuen Agricola-Karten entspannt. Auf dem Balkon sitzen, die Sonne genießen, über „Agricola“ fantasieren: Ich hätte nicht gedacht, dass das für mich Entspannung pur bedeutet. Aber wenn man ein Spiel wirklich in- und auswendig kennt, kann man jegliches Nachdenken über das Spiel einfach nur noch genießen (siehe ausführlicher Agricola-Bericht, Kapitel 74, „Das Obi-Handwerkerlexikon und der Balkon“).
Gestapelte Le Havre Exemplare
24. Dezember - Fazit:
Ich habe mir 2008 im Laufe des Jahres immer mehr angewöhnt, Spiele nicht mit Filmen zu vergleichen, aber Spielerlebnisse mit Kinoerlebnissen. Neben der leichten Unterhaltung gibt es aufwendige Spiele, bei denen man seinen Sitznachbarn aufgrund der Detailvielfalt ein ums andere Mal ansprechen mag, mit ihm lacht und am Ende das Gefühl hat, ich bin mit einem guten Freund ins Kino gegangen und der Film war gut. Dann gibt es aber auch Filme, die einen ins Innere versinken lassen, bei denen man ein sehr intensives Erlebnis verspürt und am Ende das Gefühl hat, ich bin in einen guten Film gegangen und froh, dass ich mit einem guten Freund jemanden dabei hatte, mit dem ich im Anschluss über den Film reden konnte.
So sehe ich es auch mit den aufwendigen Spielen. Bei den einen sind keine tiefgreifenden Überlegungen nötig, bei kann sich gegenseitig ärgern oder unterstützen und sehr intensiv miteinander spielen, seine Mitspieler geradezu erleben. Ich habe mich seit 2005 mehr der anderen Art von aufwendigen Spielen verschrieben. Jeder Spieler soll ein tiefes inneres Erlebnis verspüren und dieses Erlebnis mit seinen Mitspielern teilen dürfen.
Die erste Art von Spielen sind Kriegs- oder Handelsspiele, die zweite Aufbau- oder Wirtschaftsspiele. „Le Havre“ ist kein Wirtschaftsspiel im wissenschaftlichen Sinne, da es keine schwankenden Preise hat, wohl aber im spielerischen Sinne: Die Spieler bauen gemeinsam eine Wirtschaftsmacht auf.
Ciao Le Havre...
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